Phone: 0170 5980 331
Harnackstrasse 32
44139 Dortmund - Kreuzviertel
Freitag 17.30 - 19.30 Uhr
Samstag 10.30 - 14.00 Uhr

Le Marquis de Provence

Der letzte Halt an einer Raststätte der Route du Soleil, um für das Frühstück am nächsten Morgen ausgerüstet zu sein und noch eine Flasche Rotwein für ein erstes Glas nach der Ankunft. Man soll mit bewährten Traditionen nicht brechen. In knapp einer Stunde werde ich da sein. Noch bevor ich den Wagen einparke, rieche ich es. Zedernholz, gewärmt von der provencalischen Sonne und hereingeweht vom Wind. Dieser Duft ist so überwältigend, dass mein Geruchssinn ihm nicht gerecht werden kann. Dieser Duft ist so allumfassend in diesem Augenblick, dass er beinah genügt, all den Stress, all meine Ungeduld und alle Ängste hinter mir zu lassen. Einfach nur hier sein, in diesem Moment, bedeutet Glück. Ich recke meine Nase in die Abendluft, schließe die Augen und nehme Witterung auf. Ich bin fast da.

Nach 14 Stunden Fahrt endlich in Reillanne am Rande der Haute Provence. Alles ist ruhig. So ruhig, dass man das Knacken und Knistern des sich entspannenden Motors hören kann. Die Laternen in den Gassen tauchen alles in Sepia. In einigen Wohnungen brennt Licht. Die Fenster sind auf, um die milde Nachtluft hinein zu bitten. Die ein oder andere Stimme ist leise zu hören. Keine Fernsehgeräusche. Keine Musik. Nur das Plätschern des Brunnens an der Treppe zum alten Bürgermeisterhaus. Es klingt nach Zwölfton oder Free Jazz. Der Wasserstrahl scheint über sich selbst zu stolpern. Und als wüsste sie, dass ich soeben angekommen bin, taucht sie auf. Ich freue mich, dass es ihr gut geht. La Chatte, die Katzendiva des Dorfes tippelt mit hoch erhobenem Schwanz auf mich zu. Sie ist nicht mehr ganz so hektisch wie früher und lässt bereits ein zaghaftes Schnurren erklingen. Aus dem Hintergrund huscht bereits die nächste Nachtschwärmerin heran. In den nächsten drei Wochen werde ich fast alle dieser klugen Wesen aus den letzten Jahren wieder sehen und mit ihnen plaudern können.

Das Haus steht dunkel und verlassen vor mir. Die Blätter der Feigenbäume bewegen sich leicht und berühren die Mauern. Erste Früchte sind bereits weich und reif, obwohl sie so klein sind. Ich atme tief durch und stecke den Schlüssel ins Schloss. Die Tür lässt sich von Jahr zu Jahr mehr bitten. Mit einem dunklen Seufzer öffnet sie sich. Der lange Eingangsbereich mit den gekälkten Wänden weist zum Rückgrat des Hauses: die steinerne Wendeltreppe, die bis in das vierte Stockwerk hoch führt. Sofort verspüre ich die Lust, meine Schuhe abzustreifen und barfuß über die kühlen Steine zu schreiten. Ich werde hier wieder jeden Abend mit schwarzen Fußsohlen am Tisch sitzen. Mit den Händen berühre ich das Geländer und spüre den Staub, der sich hier von den Wänden abgesetzt hat. So fühlt es sich also an, wenn ein Haus zerfällt. Wie in jedem Jahr wundere ich mich über die Dreifach-Mäusefalle. Eine Triple-Guillotine. Ich schreite weiter.

Im Le Grand scheint es, als sei ich nie weg gewesen. Selbst vom Vin de Noix, den Wolfgang noch in seinem letzten Jahr hier angesetzt hat, ist nichts weiter stibitzt worden. Das mag daran liegen, dass dieser mit dem von Agnes einfach nicht mithalten kann.

Nach einer Stunde liegt alles an Ort und Stelle, alle Bücher, die ich hier lesen möchte, die Zeichenblöcke, die ich füllen will, die Kamera wird aufgeladen. Die Fenster sind weit geöffnet für die Nachtluft. Ein paar Grillen singen träge. Die Uhr neben der Kirchturmruine zeigt kurz vor elf. Gleich wird sie zwei Mal die Zeit schlagen, für den Fall, dass man beim ersten Mal nicht aufmerksam genug gezählt hat. Die Armbanduhr ist abgelegt. Ankommen.

Manchmal stelle ich mir den Marquis de Provence vor, wie er durch diese Sommerresidenz wandelt. Wenn er tatsächlich so ausgesehen hat, wie er auf den Gemälden dargestellt wird, dann wurde hier viel gelacht. Le Monsieur mochte es sicher zu scherzen und seine beiden Töchter zu necken. Und diese waren, wie mir scheint, ganz der Vater. Da kann all der Nerz und die Pomade nicht die Leichtigkeit verbergen, die hier geherrscht haben mag. Und wenn es in diesem kleinen Chateau beliebt zu winden und mit den Türen zu knarzen, dann habe ich stets Le Marquis im Verdacht. Und ich bilde mir ein, er habe soeben seine Perücke mit einem Finger wieder gerade gerückt. Wieso sonst streckt er diesen derart in die Luft, wo doch jedes Detail in solchen Portraits eine Bedeutung hatte. Ich hebe mein Glas und trinke auf sein Wohl. A la votre!

In der großen Küche befinden sich Balken unter der Decke, an denen allerlei gesammelte Werke aus Draht hängen. Von Jahr zu Jahr führe ich mehr von ihnen ihre Bedeutung zu. Manche wechseln ihre Bestimmung. Der massige Holztisch hat Schrunden und Abdrücke von Gläsern und heißen Töpfen. Das zeugt von Leben, aber auch von Gleichgültigkeit. Von Jahr zu Jahr wird die Melange aus Düften reicher. Das Holz, die Wände, der Kamin. Kräuter, Olivenöl, Ratatouille, ab und zu ein Braten. Von jedem etwas. Morgen geht es erst einmal auf den Markt. Frische Tomaten in allen Farben und Formen, knallgelb, rot, dunkelviolett. Riesige Coeur de Boeuf, winzige Cocktailtomaten. Die Auswahl im Käsewagen von Danielle wird wieder zu groß sein und die Entscheidung schwer. Ob ich es dieses Mal wage, Pieds et Paquet zu probieren? Ich weiß immer noch nicht genau, was da drin ist. Beim Bäcker freue ich mich jetzt schon auf das herzliche Lachen der Bäckerin und die gedrehten Zipfel der Croissanttüte. Und danach den ersten Pastis! Angekommen.

Iris harlammert